Anthropologie und Medizin: Vorschläge zur Destabilisierung der Zukunft

Krankheit, Medizin und die soziale Ordnung

Eines der klassischen Themen der anthropologisch-medizinischen Reflexion ist das Studium der politischen Dimensionen von Wissen und therapeutischer Praxis: Wenn die Krankheit die betroffenen Subjekte außerhalb eines normalerweise geeinigten Erfahrungs- und Bedeutungsuniversums projiziert (kulturell gefestigt durch spezifische symbolische Konstruktionen, was unter Wohlbefinden verstanden werden kann) erfüllen therapeutische Praktiken ganz oder zumindest teilweise  die Funktion der Wiedereingliederung der Kranken.

 

Die Arzt-Patient-Beziehung ist also keine rein technische Begegnung, sondern eine soziale Beziehung, die letztlich auch einen politischen Wert hat. Um die körperliche Unversehrtheit des Patienten wieder her zu stellen, stützt sich der Heilungsprozess auf implizite Bilder einer bestimmten Realitätskonstruktion, die sich von Kultur zu Kultur unterscheidet. Tatsächlich zeigt jede Kultur ein bestimmtes Körperbild auf, das für die eigene politische und gesellschaftliche Stellung als angemessen erachtet wird.

Im Fall unserer Biomedizin, um sie kulturell zu charakterisieren, erkennen wir eine spezifische Form von Gestaltung klinischer Realität, die sich vollständig auf biopsychologische Dimensionen konzentriert, im Zeichen einer spezifischen Vision von Realität und Kenntnis. Obwohl die Wirksamkeit der Biomedizin Ergebnis einer Form von Reduktionismus ist, muss man sich auch fragen, welche Konsequenzen diese kulturelle Vision der Krankheit hat. Beispielsweise sieht der Patient seine Leidenserfahrung nur auf das biophysische Terrain reduziert, für das eine Klasse von sozial legitimierten Fachkräften (Ärzte) aufgerufen ist, sich zu äußern. Durch die kulturelle Konstruktion der Krankheit, begriffen als solche, wird diese der Naturebene zugeteilt und verändert folglich das Bild der Herrschaft des Menschen über die Natur in jenes der Herrschaft des Menschen über den Menschen.

Eine solche kulturelle Konstruktion der Krankheit, die ausschließlich auf eine Veränderung der Struktur und/oder Funktionsweise des Organismus beruht, berücksichtigt nicht die Perspektive des Patienten, mit der Folge, dass die therapeutische Begegnung kaum als Ort der Teilnahme gelebt werden kann und eine Veränderung der Erfahrung bewirken kann.

Chronische oder unheilbare Krankheiten stellen einen echten Angriff auf die Bedeutung dar, die wir dem Leben zuschreiben, in dem Sinne, dass sie die Annahmen untergräbt, auf denen unser tägliches Leben beruht. Eine schwere Krankheit scheint das zu zerstören, was am meisten als selbstverständlich angesehen wird - zu existieren -, indem sie ihren willkürlichen und relativen Wert zeigt. In diesem Sinne hinterfragt sie unsere existenziellen und sinnvollen Bezugspunkte und zwingt uns, neue neu zu verhandeln. Die radikale Krise des Körpers wird zu einer Krise des Körpers in der Welt, die die Vision der Realität in Frage stellt, von der das Subjekt ein Teil ist. Es ist ein Prozess, der den Körper und das Individuum transzendiert, um das Netz intersubjektiver Beziehungen, in dem die persönliche Erfahrung lebt, zu untergraben.

 

Da der Körper im Zentrum des Prozesses der sozialen Konstruktion des Subjekts und der Produktion von Kultur steht, also im Sinne der Gestaltung symbolischer Realität, hemmt die körperliche Krise den Aufbauprozess im Hinblick auf unser „In-der-Welt-Sein“. Es ergibt sich, in Anbetracht des Auflösungsprozesses der gelebten Welt, die Notwendigkeit zu überdenken, wie das Wohl des Patienten zu definieren ist, was die Medizin gewährleisten und fördern muss.

Bestes Handeln im Interesse des Patienten kann sich wahrscheinlich nicht nur auf eine Reihe von Vorschlägen beschränken, zwischen denen der Patient wählen muss, sondern fordert auch Einsatz beim gemeinsamen Prozess der Neugestaltung der Lebenswelt, bei der Erarbeitung der neuen Bedeutung von Erfahrung und der möglichen Wahl. Sowohl die Auflösungs- als auch die Sinnesrekonstruktionsprozesse sind, wie bereits betont, zutiefst intersubjektiv und müssen notwendigerweise nicht nur den Patienten, sondern auch die Subjekte, die konstitutive Elemente dieser Welt sind, einbeziehen. Im besten Interesse des Patienten zu handeln bedeutet also, ihn in die Lage zu versetzen, nicht nur an der Wahl des Therapieweges zu beteiligen, sondern auch eine aktive Mitwirkung an der Definition seines eigenen Zustandes zu erlangen und zu fördern.

In diesem Sinne sollte eine Verbindung zwischen der Analyse biomedizinisch prägender Organisationsformen und Symbole und dem gelebten Ausmaß der Leidenserfahrung hergestellt werden, um festzustellen inwieweit diese Formen verhindern können  die therapeutische Beziehung als Moment der Transformation der Erfahrung, im Hinblick auf die Wirksamkeit, die nicht nur allein technischen Dimensionen zuzuschreiben ist, zu leben.

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